- Renaissancearchitektur in Italien: Kuppel und Zentralbau
- Renaissancearchitektur in Italien: Kuppel und ZentralbauEin viel bewundertes Werk der Ingenieurskunst hob die Renaissancearchitektur aus der Taufe: die Florentiner Domkuppel. Maß und Umriss dieses monumentalen Bauwerks hatten im Wesentlichen zwar schon die Architekten des 14. Jahrhunderts festgelegt, die Ausführung gelang aber erst Filippo Brunelleschi. Dessen nachfolgende Bauten machten Florenz binnen weniger Jahre zum Zentrum einer neuen Architektur. Mit der Sakristei von San Lorenzo, die zugleich als Grablege der Medici diente, und mit der Kirche Santa Maria degli Angeli errichtete Brunelleschi die ersten Zentralbauten der Renaissance, mit den flachgedeckten Kirchenräumen von San Lorenzo und Santo Spirito griff er auf das Vorbild frühchristlicher Säulenbasiliken in Rom zurück und grenzte sich damit gegen die Gewölbearchitektur der Gotik ab.Als Schöpfer einer neuen, rationalen und historisch ausgewiesenen Architektursprache übte Brunelleschi auf Zeitgenossen und Nachfolger größten Einfluss aus. Dem Repräsentationsbedürfnis privater Auftraggeber, das die Baukonjunktur der Epoche mehr und mehr bestimmte, konnte seine prinzipienbewusste Architekturauffassung aber kaum gerecht werden. Cosimo de' Medici, heimlicher Stadtherr von Florenz und großzügigster Bauherr seiner Zeit, berief als Hausarchitekten daher den erheblich anpassungsfähigeren Michelozzo, der seine Karriere als Bildhauer begonnen hatte. Michelozzos Palazzo Medici-Riccardi mit seiner geschossweise zurückgestuften Bossenfassade definierte den Typus des Renaissancepalastes, wie er in den folgenden Jahrzehnten zwar weiterentwickelt, aber nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt wurde. Dass Architektur zielbewusst eingesetzt wurde, um in aller Öffentlichkeit Status, Bildung und politische Ambition des Auftraggebers zu demonstrieren, machte den Palazzo Medici-Riccardi für viele zeitgenössische Bauherren zum nachahmenswerten Modell. Leon Battista Alberti variierte das Vorbild, indem er die Fassade des von ihm entworfenen Palazzo Rucellai durch übereinander gestellte Pilasterordnungen auszeichnete und damit eine neuartige Synthese aus zeitgenössischem Geschossbau und klassischer Formensprache schuf.Große Bedeutung kam Alberti auch als Mittler zwischen dem bürgerlich-patrizischen Kunstzentrum Florenz und den Höfen Italiens zu. Zu den Florentiner Künstlern hielt er zwar enge Verbindung, aber nach Herkunft, Ausbildung und literarischer Kompetenz entsprach er dem Typus des Hofhumanisten, dem der Zugang zu den Mächtigen offenstand. Sein Architekturtraktat »De re aedificatoria« war ursprünglich für den Hof von Ferrara konzipiert worden, seine berühmten Kirchenbauten in Rimini und Mantua erhoben kleine Fürstentümer in den Rang kultureller Metropolen. Daneben trat Alberti des öfteren als Berater in Architekturfragen auf. Wahrscheinlich war er der Fachmann, der Papst Pius II. bei dem Vorhaben, seinen provinziellen Geburtsort in die Renaissancestadt Pienza zu verwandeln, zur Seite stand und den Architekten Bernardo Rossellino in den Dienst des Papstes vermittelte.Stilbildendes Zentrum italienischer Hofkultur war um die Mitte des 15. Jahrhunderts Urbino. Federigo da Montefeltro, der als Heerführer im Dienst auswärtiger Potentaten ein riesiges Vermögen erworben hatte, suchte die eigene Landesherrschaft nach humanistischen Tugendvorstellungen zu reformieren und wandelte sein kleines Herzogtum in ein »ideales« Staatswesen um. Wissenschaften und Künste spielten am Hof von Urbino eine überragende Rolle. Selten wird die legitimierende und überhöhende Funktion der Renaissancekultur so deutlich wie hier: Die untergeordnete wirtschaftliche und politische Bedeutung seines Herzogtums ignorierend, ließ Federigo eine der größten Bibliotheken seiner Zeit zusammentragen, die modernsten Festungen seiner Zeit erbauen und die besten Künstler für sich arbeiten, derer er habhaft werden konnte. Im Zentrum seiner Auftraggeberschaft stand der Neubau des herzoglichen Palastes, bei dem wiederum Alberti als Berater tätig wurde. Der Bau blieb zur Stadt hin unbefestigt - eine Neuerung, die dem humanistischen Herrschaftsideal Federigos bildhaft Ausdruck verlieh und als frühestes Beispiel ziviler Residenzarchitektur großen Einfluss auf das Zeitalter gewann.Zu Beginn des 16. Jahrhunderts setzte sich Papst Julius II. an die Spitze des Wettbewerbs zwischen den Auftraggebern. Mit beispiellosem Gespür für das Prestige verleihende Potenzial der Kunst, aber auch für das individuelle Leistungsvermögen bestimmter Künstler gelang es ihm, zu gleicher Zeit Michelangelo, Raffael, Giuliano da Sangallo und Bramante in seine Dienste zu nehmen und mit großen Aufträgen zu betrauen. Obwohl sich nach der Rückkehr des Papsttums aus dem Exil in Avignon (1376) einzelne Amtsvorgänger zu Förderern der Renaissancekultur gemacht hatten, war es bis dahin nicht gelungen, Rom zu einem erstrangigen, etwa mit Florenz vergleichbaren Kunstzentrum zu erheben. Hauptanliegen des Papstes war die Erneuerung der Peterskirche und des Vatikanischen Palastes. Besonders die von Bramante begonnenen Planungen für Neu-Sankt Peter bedeuteten einen Wechsel auf die Zukunft: Seit den Anfängen der Renaissance, ja seit Menschengedenken war kein so großes, anspruchsvolles und von schwierigsten Voraussetzungen bestimmtes Bauprojekt in Angriff genommen worden. Von der Grundsteinlegung im Jahr 1506 bis zur Vollendung sollte genau ein Jahrhundert vergehen, das von zahlreichen ideologischen, funktionalen und künstlerischen Kursänderungen bestimmt wurde.Über die vatikanischen Bauvorhaben hinaus entfachten die Aktivitäten Julius' II. in Rom eine Kunstkonjunktur beispiellosen Ausmaßes, die sich unter seinem Nachfolger Leo X., einem Sohn Lorenzos de' Medici, noch weiter steigern sollte. Neben den Päpsten wurden Kardinäle zu wichtigen Auftraggebern, hinzu kamen Privatleute, deren wirtschaftliche Existenz eng mit der Kurie verknüpft war. Die fähigsten Künstler Italiens wurden von der Aussicht auf große Aufträge nach Rom gelockt, in kurzer Folge entstanden Paläste, Kirchen und Villen, die jeweils aufwendige Ausstattungskampagnen erforderten. Die Hochrenaissance, wie man die klassische Phase der italienischen Kunst zwischen 1500 und 1530 nennt, war im Wesentlichen eine Leistung Roms. Sie führte die Experimente, die während des 15. Jahrhunderts zunächst von Florenz, dann von konkurrierenden Zentren aus das Kunstgeschehen Italiens bestimmt hatten, zu einer normbildenden Synthese und galt schon den Zeitgenossen als künstlerischer Kulminationspunkt der Epoche.Die Grundlagen für die Architektur der Hochrenaissance legte Bramante, der in Urbino als Maler ausgebildet worden war und seit 1479 im Dienst Ludovico Sforzas, des Herzogs von Mailand, gestanden hatte. Bereits in seinen Mailänder Bauten, darunter dem Kuppelraum von Santa Maria delle Grazie, deutet sich eine engagierte Auseinandersetzung mit antiker Räumlichkeit und mit dem klassischen Formenkanon an - Themen, die ihm vor allem durch die Bauten Albertis in Mantua vermittelt worden waren. Der »Tempietto«, ein Rundtempel im Hof von San Pietro in Montorio, eines der ersten Werke Bramantes in Rom, entstand dagegen unter dem unmittelbaren Eindruck der antiken Baukunst und führte - wenn auch in kleinem Maßstab - eine neue Klassik der Formensprache in die zeitgenössische Architektur ein. Mit dem Baubeginn von Sankt Peter gewann Bramantes Stil eine für alle späteren Werke charakteristische Schwere und Monumentalität, vor allem aber ein gänzlich neues, aus der Anschauung antiker Bauten entwickeltes Bewusstsein für die Komposition räumlicher Volumina.Nach Bramantes Tod übernahm Raffael den noch in den Anfängen steckenden Bau der Peterskirche. Er besaß erst wenig architektonische Erfahrung, führte aber mit der ihm eigenen raschen Auffassungsgabe und mit der fachlichen Unterstützung Antonio da Sangallos des Jüngeren Bramantes Werk unter neuen Akzentsetzungen fort. Während seiner letzten Lebensjahre entwickelte Raffael, durch eine Reihe anspruchsvoller Bauaufträge herausgefordert, einen spezifischen architektonischen Duktus, der sich durch Freiheit der Komposition, Eleganz der Linienführung und erlesene, an der Kunst der frühen Kaiserzeit geschulte Dekorationen auszeichnet. Auch für die Antikenstudien der Renaissance erlangte Raffael zentrale Bedeutung. 1515 ernannte ihn Papst Leo X. zum Aufseher über die römischen Altertümer; sein ehrgeiziges Vorhaben, sämtliche Reste antiker Architektur in Rom zu vermessen und zeichnerisch zu dokumentieren, kam allerdings über Anfänge nicht hinaus.Nach dem Tod Leos X. im Jahr 1521 gerieten das Papsttum und mit ihm Rom in eine Krise, die mit der Besetzung der Stadt durch Truppen Kaiser Karls V. im Jahr 1527, dem »Sacco di Roma«, ihren Tiefpunkt erreichte. Dass die bedeutendsten Künstler die Stadt verließen, brachte Aufstiegschancen für neue Kunstzentren mit sich. Giulio Romano, der in Raffaels Atelier ausgebildet worden war und sich trotz seiner Jugend bereits in Rom als Maler und Architekt hatte profilieren können, trat 1524 in den Dienst Federigo Gonzagas in Mantua, um den Bau des Palazzo del Te, eines fürstlichen Lusthauses vor den Toren der Stadt, zu übernehmen. Wie sein Lehrer Raffael in Rom, erhielt Giulio Romano in Mantua unbeschränkte Vollmacht über alle Kunstangelegenheiten des Hofes. Seine Bauten und Dekorationen haben ihre Grundlage im klassischen Stil der Hochrenaissance, kultivieren aber in der punktuellen Verwendung neuer, der Antike unbekannter Formen das Ideal der »Maniera«, der eigenständigen und eigenwilligen, bewusst gegen Regeln verstoßenden Erfindung.Auch in den Bauten, die Michelangelo seit 1520 im Auftrag der Medici in Florenz errichtete, gewinnt der Manierismus als neue stilistische Strömung der Renaissance Konturen. Im Vergleich mit den Werken Giulio Romanos offenbaren die Bauten Michelangelos aber eine bewusstere Zielsetzung. Auf den ersten Blick überraschen sie durch die plastische Energie ihrer Glieder, durch kompositionelle Gewichtsverschiebungen und motivische Freiheit. Bei näherem Hinsehen geben sie sich als kritische Auseinandersetzung mit den Grenzen und Möglichkeiten der Säulenarchitektur zu verstehen - mit ästhetischen Prinzipien also, die seit Brunelleschi in der Architektur gegolten hatten. Michelangelos Florentiner Bauentwürfe sind somit die ersten greifbaren Reflexionen über die inzwischen vollzogene Traditionsbildung der eigenen Epoche.Obwohl Michelangelo sich selbst als Architekt wider Willen sah, beanspruchten seit seiner endgültigen Rückkehr nach Rom im Jahr 1534 bauliche Aufgaben den größten Teil seiner Arbeitskraft. Papst Paul III., der durch erste Kirchenreformen dem europäischen Glaubenskonflikt Rechnung trug und so dem päpstlichen Amt neues Ansehen verschaffte, betraute ihn mit großen architektonischen Planungen wie dem Neubau des Kapitolsplatzes und der Weiterführung des Sankt-Peter-Projekts. Zu den manieristischen Formexperimenten der Florentiner Bauten ging Michelangelo in diesen Werken, die vornehmlich der päpstlichen Repräsentation dienen sollten, deutlich auf Distanz. Stattdessen zeigt sich ein neues Interesse an großartiger Außenwirkung, wie sie zum Beispiel durch das Motiv der kolossalen, mehrere Geschosse zusammenfassenden Pilasterordnung erreicht wird. Michelangelos Kritik an den utopischen Dimensionen und der räumlichen Verschachtelung der vorhandenen Pläne für Sankt Peter führte ihn zu einem radikal reduktionistischen Bauprogramm: Der Wunsch nach Vereinheitlichung und hierarchischer Straffung des Baugefüges bestimmte als neuer Leitgedanke das Erscheinungsbild der Peterskirche, das in wesentlichen Partien noch heute den Vorstellungen Michelangelos entspricht.In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die italienische Architektur durch gegensätzliche Tendenzen bestimmt. In Rom war seit etwa 1550 Vignola tätig, dessen Buch über die Säulenordnungen den Umgang mit dem antiken Formenkanon strikten Regeln unterwarf und dadurch europaweit Geltung erlangte. Ähnlich großen Einfluss übte sein architektonisches Hauptwerk aus, die Jesuitenkirche Il Gesù in Rom. Dem Zentralbaugedanken der Renaissance stellte Vignola einen im Wesentlichen neuen Prototyp der Sakralarchitektur entgegen: die einschiffige, gewölbte, von Seitenkapellen flankierte Saalkirche mit Vierungskuppel. Damit war ein axial auf den Hochaltar gerichtetes Längsbauschema geschaffen, das den liturgischen Forderungen der Gegenreformation entsprach und für rund zwei Jahrhunderte den Prototyp für die katholische Sakralarchitektur Europas abgeben sollte.Obwohl er zeit seines Lebens in Venedig Fuß zu fassen suchte, blieb die Provinzstadt Vicenza im Hinterland der Lagune das wichtigste Arbeitsfeld des gebürtigen Paduaners Andrea Palladio. Dort schuf er bedeutende Sakral- und Palastarchitektur; überragenden Einfluss erlangte er aber durch seine Villenbauten, die durch die Hervorhebung des herrschaftlichen Wohnbereichs, durch antikisierende Grundrisse und klassisches Vokabular ihren Bewohnern exklusives Prestige verliehen. So emphatisch Palladios Werk noch einmal die klassische Tendenz der Renaissance beschwört, so deutlich emanzipiert es sich aber von deren grundlegenden ästhetischen Prinzipien: Indem es etwa bestimmte klassische Formeln - zum Beispiel die übergiebelte Portikus, eine Vorhalle mit Säulen - unterschiedslos auf alle Bauaufgaben bezieht, widerspricht es der antiken Lehre vom »Decorum«, die das Verhältnis von Form und Funktion dem Grundsatz der Angemessenheit unterworfen hatte. Erst Palladio nutzte den Formenschatz der Antike als universell verfügbares Repertoire und bahnte so der klassizistischen Ästhetik späterer Jahrhunderte den Weg: Seit dem 17. Jahrhundert wurden seine Bauten, deren Form auch der von Palladio 1570 herausgegebene Architekturtraktat übermittelte, vor allem im nördlichen Europa als Musterbeispiele klassischer Architektur bewundert und auf breiter Ebene aufgegriffen.Prof. Dr. Andreas Tönnesmann
Universal-Lexikon. 2012.